Offener Brief – Ostern 2025
Als gläubiger Katholik und als jemand, der seit über 40 Jahren ehrenamtlich den Dienst als Kirchenchorleiter und Organist versieht, habe ich unzählige Gottesdienste mitgestaltet, mitgetragen, durchlitten und gefeiert. Dies alles aus Liebe zu Gott und in der Hoffnung, in der Liturgie mit der Gemeinde Christus zu begegnen. Umso größer ist meine innere Not in diesem Jahr, denn ich sehe mich nicht mehr imstande, durch Schweigen eine Praxis zu dulden, die aus meiner Sicht theologisch nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Konkret geht es um die verpflichtende alttestamentliche Lesung in der Osternacht aus dem Buch Exodus (Ex 14), die in aller Feierlichkeit verkündet, wie Gott die Ägypter im Meer ertrinken lässt. Mindestens so problematisch erscheint mir die Lesung des Gründonnerstags (Ex 12), wo Gott durch die Straßen zieht und alle Erstgeborenen erschlägt, deren Türpfosten nicht mit Blut bestrichen sind.
Diese Texte werden liturgisch nicht nur vorgetragen, sondern als „Wort des lebendigen Gottes“ vom Volk mit „Dank sei Gott“ bejaht. Und genau hier liegt das Problem: Die Darstellung eines Gottes, der tötet, der Feinde umbringt und selektiv Leben verschont, kann in keiner Weise mehr als "Wort Gottes" verkündet werden — schon gar nicht im Kontext einer Welt, die voller Gewalt, religiösem Fanatismus und Machtmissbrauch ist.
Das Argument, diese Texte seien typologisch zu verstehen, also im Licht Christi zu deuten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier Gewalt religiös verklärt wird. Denn wenn das Blut des Lammes an den Türpfosten mit dem Tod Jesu am Kreuz in Beziehung gesetzt wird, entsteht theologisch ein Bild, das nicht die Liebe Gottes feiert, sondern sein angebliches Bedürfnis nach Blut und Opfer – ein Bild, das Jesus selbst entschieden überwunden hat.
Solche Widersprüche dürfen nicht überdeckt oder „ausgehalten“ werden – sie sind ein deutliches Zeichen dafür, dass am Gottesbild über Jahrhunderte hinweg immer wieder je nach politischer oder religiöser Wetterlage herumgedeutet wurde. Das muss dringend offengelegt und hinterfragt werden – im Licht des Evangeliums und mit ehrlichem Blick auf die Vergangenheit. Denn: Nicht jede Deutung ist heilig – und nicht jede Schriftstelle taugt zur Verkündigung in einer Welt, die nach Frieden hungert.
Im Licht Jesu Christi ist Gott nicht der, der Rache übt, sondern der, der vergibt. Jesus spricht: „Liebt eure Feinde!“ (Mt 5,44), und am Kreuz betet er für seine Mörder: „Vater, vergib ihnen!“ (Lk 23,34). Diesem Christus will ich dienen. Und nur diesem.
Ich kann und werde nicht mehr schweigen, wenn in der Liturgie ein Gottesbild vermittelt wird, das mit dem Evangelium unvereinbar ist. Schweigen wäre Zustimmung.
Wir glauben alle an EINEN Gott. Der Gott in den erwähnten Texten ist demnach derselbe, wie der Gott im Neuen Testament. Ich glaube jedoch nicht an einen Gott, der mordet. Ich glaube nicht an einen Gott, der Menschen in „uns“ und „die anderen“ teilt und dann tötet. Ich glaube nicht an einen zornigen Gott, der sich an schuldlosen Kindern (bzw. den Erstgeborenen) rächt. Das alles steht in krassem Gegensatz zur Botschaft Jesu, die von Mitgefühl, Heilung, Gewaltfreiheit und bedingungsloser Liebe geprägt ist.
Ich glaube an Jesus Christus: Den Gekreuzigten, unseren Erlöser, der verzeiht. Den Auferstandenen, der Frieden bringt – auch denen, die ihm feindlich gesinnt sind. Den Sohn Gottes, der uns zur Liebe einlädt, zur Versöhnung, zum Leben.
In einer Welt, die heute mehr denn je unter Krieg, Fanatismus und religiöser Gewalt leidet, ist es zutiefst bedenklich – ja gefährlich –, Tötungserzählungen als göttliches Handeln zu feiern. Es untergräbt den Kern des christlichen Glaubens an einen liebenden, barmherzigen Gott. Wer solche Texte liturgisch verklärt, trägt Verantwortung für das Gottesbild, das dabei vermittelt wird. Wenn unser Gott als Massenmörder der Erstgeborenen dargestellt wird – egal, ob mit oder ohne typologischer oder metaphorischer Auslegung – dann ist das nicht nur theologisch untragbar, sondern pastoral schlichtweg verantwortungslos und geistlich hochgradig verletzend. Deshalb fordere ich: • Eine sofortige Neubewertung dieser Lesungen. Sie sind in dieser Form keine Frohbotschaft – vielmehr eine „Drohbotschaft“ und dürfen nicht weiter verpflichtend bleiben. • Eine grundsätzliche Wahlfreiheit für Gemeinden, sämtliche Lesungen durch heilvolle, menschenfreundliche Texte zu ersetzen. • Eine Offene Kirche, die auch kritische Stimmen von Gläubigen ernst nimmt und sich nicht auf von Menschen geschaffene Verordnungen ausredet. Auferstehung ist nicht der Triumph über die Ermordung der Feinde. Sie ist das Leben – für alle. Ganz besonders für schuldlose Kinder. Auch für Ägypter. Auch für Fremde. Auch für „Feinde“. Auferstehung ist das Ende der Gewalt – nicht ihre theologische Rechtfertigung. Nein, ich verlasse meine Kirche nicht. Ich bleibe – aber mit offener Stimme. Denn mein Gewissen ist nicht verhandelbar, und mein Glaube an die Liebe Gottes ist stärker als jede noch so alte Leseordnung. St. Koloman, Ostern 2025 Michael Kainberger
In einer Welt, die heute mehr denn je unter Krieg, Fanatismus und religiöser Gewalt leidet, ist es zutiefst bedenklich – ja gefährlich –, Tötungserzählungen als göttliches Handeln zu feiern. Es untergräbt den Kern des christlichen Glaubens an einen liebenden, barmherzigen Gott. Wer solche Texte liturgisch verklärt, trägt Verantwortung für das Gottesbild, das dabei vermittelt wird. Wenn unser Gott als Massenmörder der Erstgeborenen dargestellt wird – egal, ob mit oder ohne typologischer oder metaphorischer Auslegung – dann ist das nicht nur theologisch untragbar, sondern pastoral schlichtweg verantwortungslos und geistlich hochgradig verletzend. Deshalb fordere ich: • Eine sofortige Neubewertung dieser Lesungen. Sie sind in dieser Form keine Frohbotschaft – vielmehr eine „Drohbotschaft“ und dürfen nicht weiter verpflichtend bleiben. • Eine grundsätzliche Wahlfreiheit für Gemeinden, sämtliche Lesungen durch heilvolle, menschenfreundliche Texte zu ersetzen. • Eine Offene Kirche, die auch kritische Stimmen von Gläubigen ernst nimmt und sich nicht auf von Menschen geschaffene Verordnungen ausredet. Auferstehung ist nicht der Triumph über die Ermordung der Feinde. Sie ist das Leben – für alle. Ganz besonders für schuldlose Kinder. Auch für Ägypter. Auch für Fremde. Auch für „Feinde“. Auferstehung ist das Ende der Gewalt – nicht ihre theologische Rechtfertigung. Nein, ich verlasse meine Kirche nicht. Ich bleibe – aber mit offener Stimme. Denn mein Gewissen ist nicht verhandelbar, und mein Glaube an die Liebe Gottes ist stärker als jede noch so alte Leseordnung. St. Koloman, Ostern 2025 Michael Kainberger